Montag, 20. September 2010

Ach, das verflixte R

Ach, das verflixte R

Bei den kleinsten chinesischen Fremdsprachenlernern an der Schule versuche ich mir immer, besondere Mühe zu geben. Doch mein Einsatz und das Ergebnis stehen oft in einem Missverhältnis. Davon zeugt auch die folgende Episode: Wieder einmal führte ich Sprechübungen durch und wollte auch eine neue Vokabel einführen, nämlich das Wort „Kreide“. Eine Vokabel, von der ich dachte, sie könnte mir im Unterricht durchaus von Nutzen sein.
Ich griff also nach einem Stück Kreide, zeigte darauf und sagte „Kreide“. Wie üblich sprachen es alle im Chor nach. Doch was ich zu hören bekam, klang eher wie „Kleide“. Noch einmal – tatsächlich, es war „Kleide“. Ich schüttelte also mit dem Kopf – eine Geste, die glücklicherweise auch in China so verstanden wird, wie bei uns daheim – und wiederholte laut und deutlich „Kreide“. Sofort ertönte der Schülerchor erneut mit vollem stimmlichen Einsatz: „Kleide!“. Wiederum schüttelte ich mit dem Kopf und rief: „Kreide“ … „Kreide“ und schließlich: „Krrrrrrreide“. Große Schüleraugen blickten mich an. Doch als Antwort erhielt ich immer nur: „Kllllleide“.
Ich sprach es einzelnen Schülern vor, doch die Antwort war immer und immer wieder „Kleide“. Schließlich nickte ich zum Schluss bei dem Wort „Kleide“ und dachte: Gut, dann nennen wir es eben „Kleide“.
Wieder einmal bestätigte sich somit auf frappante Art und Weise eine tiefe Weisheit des Dichters Ernst Jandl:

lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum


Später habe ich mit meinen chinesischen Kollegen über die R-Thematik gesprochen und die Problematik durchaus bestätigt gefunden. Die Unterscheidung zwischen dem am Zäpfchen gebildeten Reibelaut „r“ und dem in der Stimmritze gebildeten Verschlusslaut „l“ ist für das chinesische Ohr kaum wahrnehmbar. Der Prozess des Spracherwerbs ist in diesem Punkt durchaus heikel, langwierig und schwierig. Am besten – so meine erfahrenen Kollegen –, man führt das „r“ als eine Art Reibelaut, der am Gaumen gebildet wird ein. Also etwa wie das „ch“ im deutsch Wort „ach“. Dann hätte man zwar noch keine „Kreide“ aber so etwas ähnliches, wie das Krächzen von Krähen. Sollten wir da nicht wirklich lieber bei „Kleide“ bleiben?

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