Freitag, 24. September 2010

Mondfest


Das Mondfest oder auch Mittherbstfest wird traditionellerweise am 15. Tag des achten Monats gefeiert. Das war in diesem Jahr (gemäß dem europäischen Kalender) Mittwoch, der 22. September. Es gab schulfrei bis einschließlich Freitag; doch wer nun denkt, die chinesischen Schüler bekommen einfach so ein paar freie Tage, der irrt sich gewaltig. Die Unterrichtsstunden werden am kommenden Samstag und Sonntag nachgeholt. Diese Praxis ist keine Besonderheit sondern Gang und Gäbe in China. Und so kommt es gelegentlich vor, dass wir den Samstag und Sonntag in der Schule verbringen.
Zum Mondfest wurde ich in eine chinesische Familie eingeladen. Der Empfang war sehr herzlich; als Gastgeschenk bekam ich zwei Kong-Fu-Anzüge – einen weißen und einen roten. Ob es mit dieser Farbsymbolik eine besondere Bewandnis hat, kann ich nicht sagen, aber es ist davon auszugehen. Zum Mittagessen gab es für mich bekannte und sehr viel unbekannte Dinge, z. B. yu nai, ze shu und wuo wou tou. Nicht alles schmeckt so, wie es klingt. Ze shu beispielsweise sind kleine, eierförmige, lila Stückchen, die etwas süß schmecken. Aber – man merkt schon – es macht keinen Sinn über chinesisches Essen zu schreiben, man muss es einfach probieren.
Obwohl der Mond an diesem Abend wolkenverhangen war, habe ich ein Gedicht des berühmten chinesischen Dichters Li Bai zum Besten gegeben:

Stille Nachtgedanken

Vor meinem Bett das Mondlicht ist so weiß,
Dass ich vermeinte, es sei Reif gefallen.
Das Haupt erhoben schau ich auf zum Monde,
Das Haupt geneigt denk ich des Heimatdorfs.

(übertragen von Günter Eich)

Da ich das Gedicht – wenn auch in sehr mäßigem und stockendem – Chinesisch aufsagte, war mir die Bewunderung meiner Gastgeber sicher. So ging das Mondfest bei abendlichen Temperaturen um die 20 Grad zu ende.

Montag, 20. September 2010

Ach, das verflixte R

Ach, das verflixte R

Bei den kleinsten chinesischen Fremdsprachenlernern an der Schule versuche ich mir immer, besondere Mühe zu geben. Doch mein Einsatz und das Ergebnis stehen oft in einem Missverhältnis. Davon zeugt auch die folgende Episode: Wieder einmal führte ich Sprechübungen durch und wollte auch eine neue Vokabel einführen, nämlich das Wort „Kreide“. Eine Vokabel, von der ich dachte, sie könnte mir im Unterricht durchaus von Nutzen sein.
Ich griff also nach einem Stück Kreide, zeigte darauf und sagte „Kreide“. Wie üblich sprachen es alle im Chor nach. Doch was ich zu hören bekam, klang eher wie „Kleide“. Noch einmal – tatsächlich, es war „Kleide“. Ich schüttelte also mit dem Kopf – eine Geste, die glücklicherweise auch in China so verstanden wird, wie bei uns daheim – und wiederholte laut und deutlich „Kreide“. Sofort ertönte der Schülerchor erneut mit vollem stimmlichen Einsatz: „Kleide!“. Wiederum schüttelte ich mit dem Kopf und rief: „Kreide“ … „Kreide“ und schließlich: „Krrrrrrreide“. Große Schüleraugen blickten mich an. Doch als Antwort erhielt ich immer nur: „Kllllleide“.
Ich sprach es einzelnen Schülern vor, doch die Antwort war immer und immer wieder „Kleide“. Schließlich nickte ich zum Schluss bei dem Wort „Kleide“ und dachte: Gut, dann nennen wir es eben „Kleide“.
Wieder einmal bestätigte sich somit auf frappante Art und Weise eine tiefe Weisheit des Dichters Ernst Jandl:

lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum


Später habe ich mit meinen chinesischen Kollegen über die R-Thematik gesprochen und die Problematik durchaus bestätigt gefunden. Die Unterscheidung zwischen dem am Zäpfchen gebildeten Reibelaut „r“ und dem in der Stimmritze gebildeten Verschlusslaut „l“ ist für das chinesische Ohr kaum wahrnehmbar. Der Prozess des Spracherwerbs ist in diesem Punkt durchaus heikel, langwierig und schwierig. Am besten – so meine erfahrenen Kollegen –, man führt das „r“ als eine Art Reibelaut, der am Gaumen gebildet wird ein. Also etwa wie das „ch“ im deutsch Wort „ach“. Dann hätte man zwar noch keine „Kreide“ aber so etwas ähnliches, wie das Krächzen von Krähen. Sollten wir da nicht wirklich lieber bei „Kleide“ bleiben?

Samstag, 18. September 2010

Typischer Tagesablauf

Nachdem ich im Land der Mitte – genauer gesagt in Shanghai – eingetroffen war, wurde mir der Tagesablauf an der Pudong Fremdsprachenschule, an der ich im kommenden Jahr Deutsch als Fremdsprache unterrichten soll, theoretisch und praktisch sehr schnell vermittelt. Wie sieht also der Tagesablauf an der Internatsschule aus?
Das obligatorische Wecken erfolgt um 6.15 Uhr mit Musik aus allen Lautsprechern. Es folgen Waschen, Appell und Frühstück. Um 8.00 Uhr beginnt der Unterricht, der bis 16.00 Uhr am Nachmittag reicht. Dazwischen gibt es eine lange Mittagspause von 12.00 Uhr bis 13.30 Uhr. Nach den Nachmittagsstunden ist aber längst noch nicht Schluss, denn bis circa 21.15 Uhr folgen dann verpflichtende Förderstunden, Hausaufgabenzeiten und Abendkurse. Gegen 22.00 Uhr ist dann Nachtruhe.
Wenngleich dies der typische Tagesablauf für die Schüler von Montag bis Freitag ist, kann ich mich dieser Dynamik kaum entziehen, da ich zum einen selbst im Internat wohne – also beispielsweise mit der schönen morgendlichen Musik geweckt werde – und zum anderen sich mein Stundenplan den Gegebenheiten anpassen muss. Das führt z. B. dazu, dass ich am Montag und am Mittwoch Abendkurse habe, die von 18.30 Uhr bis 19.30 Uhr gehen.
Der Montag weicht von diesem Rhythmus in einem Punkt ab: Es ist der allwöchentliche Schulbeginn und gegen 8.00 Uhr wird die chinesische Fahne gehisst, die dann die ganze Woche über unseren Köpfen flattert. Beim Hissen der Fahne versammeln sich alle – Schüler und Lehrer – auf dem Sportplatz und lauschen ehrfürchtig dem Fahnenlied (chin. 國旗歌, gúoqí gē), dessen Text bei Wikipedia wie folgt übersetzt wird:

Berge und Flüsse, großartig und schön;
die Bodenschätze und Ernten reich und üppig.
Ihr Nachkommen der Kaiser Yan und Huang, ihr werdet Ostasien erobern.
Bleibt nicht zurück, gebt euch nicht auf, verharrt nicht beim Alten.
Seid der Ruhm unseres Volkes, bringt den großen Frieden voran.
Aufbau ist schwer; erinnert euch an unsere Märtyrer,
Bewahren ist schwer; denkt nicht nur an den augenblicklichen Vorteil.
Seid eines Herzens und eines Willens,
Blauer Himmel, weiße Sonne und die ganze Erde rot.
Blauer Himmel, weiße Sonne und die ganze Erde rot.