Die Goldene Woche – die Woche nach dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober – habe ich genutzt und bin in das nördlich von Shanghai gelegene Nanjing gefahren. Dort besichtigte ich den recht bekannten Konfuzius-Tempel, die Ming-Gräber, das Mausoleum von Sun Yat-sen und das gigantisches Mahnmal für die Opfer des Nanjing-Massakers. Da in dieser Woche naturgemäß viele Chinesen auf Reisen sind, waren die einzelnen Sehenswürdigkeiten sehr überlaufen; insbesondere das Mausoleum von Sun Yat-sen wurde bei schönstem Sonnenschein von tausenden Chinesen besucht – und ich irgendwo mittendrin.
Am dritten Oktober fasste ich den Entschluss, den Jangtse in Nanjing zu überqueren. Ich fuhr mit einem Taxi zur großen, doppelstöckigen Jangtse-Brücke. Ein Monumentalbauwerk aus den 60er Jahren. Der freundliche Taxifahrer setzte mich in einem Neubauviertel ab, in dem ich den Fluss noch gar nicht sehen konnte. Ich war etwas irritiert, erkannte aber eine gewaltige Zufahrtsstraße zur Brücke. Links und rechts der breiten, mehrspurigen Fahrbahn waren Fußgängerwege, auf denen allerdings auch Motorradfahrer wild umherfuhren. Ich nahm also den Weg hinauf zur Brücke in Angriff. Endlos war dieser Weg und schien direkt in den Himmel zu führen. Erst nach einigen hundert oder tausend (?) Metern konnte ich die Brücke von Weitem erahnen. Ich ging weiter und erreichte schließlich die riesigen Brückenpfeiler, auf denen ganz im Stile der sozialistischen Architektur symbolische rote Feuer und Arbeiterskulpturen thronten. Endlich kam ich auf die Brücke und sah den breiten Jangtse unter mir.
Meine Überquerung dauerte recht lange, da der Fluss breit und die rasanten Motorradfahrer gefährlich waren. Schließlich erreichte ich ziemlich verschwitzt das andere Ufer. Nun wollte ich auf die andere Seite der Brücke, um zurückzukehren, doch das bedeutete wiederum eine lange Abfahrtsstraße hinab zu wandern, unter der Brücke hindurch zu gehen und auf der anderen Seite wieder hinauf zu gehen. Ich tat es und kam am Ende ziemlich erschöpft wieder am Ausgangspunkt an. Das ganze Unternehmen dieser „Doppelüberquerung“ dauerte zwei oder drei Stunden. Aber eine solche Jangtse-Überquerung hat eben auch etwas „Historisches“.
Ich kann nun zwar nicht von mir behaupten, ich sei übers Wasser gegangen oder ich sei durch den Jangtse geschwommen, wohl aber habe ich diesen großen, traditionsreichen Fluss Chinas überschritten und dem nördlichen Teil des Landes Hallo gesagt.
Am Abend bin ich dann in ein Steak-House gegangen. Ich dachte, ich hätte es mir verdient, – außerdem war es sehr angenehm nach vierwöchigem Stäbchengebrauch in der Schulkantine mal wieder mit Messer und Gabel zu essen.